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Leseprobe aus Kapitel I

 

Wir verließen die Hütte und als wir draußen standen, fiel mir erneut auf, wie klein und bescheiden sie doch war. Wir gingen ein paar Meter durch hohes Gras und an einigen Teichen vorbei. Der ein oder andere Baum tauchte auch auf dem Weg auf, aber dennoch konnte man das gesamte Tal überblicken. Bis zu dem Punkt, wo sich die Berge am Horizont reihten und es beinahe so schien, als würden sie sich gegenseitig in ihrer Höhe überbieten wollen. Es war ein majestätischer Anblick. Auf dem höchsten Gipfel des Gebirges lag noch viel Schnee, doch direkt zu meinen Füßen wuchsen bunte Blumen. Gelb, rot, orange, blau, violett. Nur knapp unter den zugefrorenen, frostigen Gipfeln der Berge, war deutlich ein dichter Wald zu erkennen. Einige hohe Nadelbäume ragten heraus. Die Industrialisierung hinterließ Spuren, wo sie nur konnte. Unregelmäßigkeiten im Klima waren inzwischen zur Routine geworden. Wie lange sollte die Welt noch bestehen bleiben? Wie lange würde es dauern, bis wir unsere Ozonschicht auseinanderfleischen und somit unser eigenes Himmelfahrtskommando befehligen würden? Ich konnte mich am schönsten Ort der Welt befinden; Meine Wut darüber würde sich dennoch nicht legen. »Sie sehen an den richtigen Ort. Das ist unser Ziel«, sagte er mit königlich angehobener Stimme und streckte die Arme zu den Seiten raus. Ein mächtiger Wind blies durch das gesamte Tal. Sein Hemd hob sich mit der Luft und als er einfach nur darstand, so frei, so unabhängig, so glücklich, sah es beinahe aus, als würde er den Wind rufen um sich dann in die unendliche Höhe und bis hinter die riesige Gebirgskette tragen zu lassen. »Das ist die Natur. Von ihr geht das gesamte Leben aus. Man wird ihr nur gleich, wenn man sich ihr hingibt«, rief er laut, obwohl er nur wenige Meter von mir entfernt stand. Doch die starken Böhen, die mittlerweile miteinander kämpften und somit ein sanftes Pfeifen erzeugten, nahmen mir die Kraft, ihn zu verstehen. Er stieg auf einen nahen Stein, der wie durch eine Treppe über andere Steine zu erreichen war. Etwa drei Meter stand er nun über mir und schrie, ich solle auch dort hoch klettern. Ich zog also meinen schwitzigen, roten Pullover aus und ein leichtes Hemd in fröhlichen Farben kam darunter zum Vorscheinen. Ich knöpfte mir den engen Kragen ein Stück weiter auf und stieg den Fels hoch. Diese knapp drei Meter schienen wie die Unendlichkeit. Der starke Wind und die abwechslungsreichen Landschaften um uns herum ließen alles so dynamisch erscheinen. Man fühlte sich wie weggeblasen, in unglaubliche Höhen. Man könne das gesamte Tal und die Berge die es umgeben komplett überblicken. Der Horizont würde wahrscheinlich weit genug reichen, um die Rundung der Erde wahrzunehmen. Aber dennoch stand ich einfach auf der Stelle. Es war die Natur die mir dieses Gefühl von Freiheit bescherte. Der Wind ließ ein bisschen nach und ein paar Sekunden später registrierte ich, dass mein Pullover nun schon einige Meter sanft davon glitt. Ich sprang in zwei Schritten von dem Stein runter und jagte meinem Kleidungsstück hinterher. Es schien unmöglich es noch zu erwischen und ich überlegte kurz, stehen zu bleiben und diese vollgeschwitzte Wolle davon fliegen zu lassen. Doch ich rannte weiter. Ich rannte so schnell ich konnte. Vom Wind getrieben, von der Natur gestützt. Ich streifte mit meinen freien Knöcheln an vielen Blumen vorbei. Ich trat in einige Wasserstellen im Boden. Zu groß für eine Pfütze, aber nicht tief genug für einen Teich. Meine Hose war nun bis zu den Knien vom ganzen Wasser nass gespritzt, doch es machte mir nichts aus. Die Welt um mich herum schien sich so schnell zu bewegen. Als würde ich tausende, nein, abertausende Kilometer in nur einem Schritt zurück legen. Meine Beine fühlten sich so lang an. Doch als ich dann zu den Seiten schaute und die noch höheren Berge sah, spürte ich langsam wie die Aerodynamik zu einer leichten Belastung wurde. Meine Muskeln ließen nun nach. Ich blieb stehen, setzte mich zwischen die Blumen und das kniehohe Gras und merkte, wie viel näher ich unserem Ziel nun gekommen war. Meinen Pullover verlor ich mit der Zeit aus den Augen, irgendwo weit hinter mir müsste er rum liegen, wenn er nicht noch durch die Luft glitt und jeden Moment an mir vorbei sausen würde. Dann fiel mir ein, dass ich nicht alleine hier war. Ich hörte leise Schritte, die sich von hinten annäherten. »Unglaublich, nicht?«, fragte er, als würde er die Antwort bereits kennen. »Ja. Atemberaubend!«, antwortete ich, völlig aus der Puste. »Eines gäbe es da noch zu tun; Dieses unpersönliche siezen ist einfach nur dämlich. Die Welt lässt uns, unabhängig von unserem Charakter, auf einer Wellenlänge leben. Also sollten wir uns duzen«, erklärte er. »Ja, gerne! Ich bin Cedric!«, sagte ich. Er gab mir die Hand und erwiderte: »Freut mich! Mein Name ist Shankar.«

 

Leseprobe aus Kapitel IX

 

»Stimmt, das würde wirklich Sinn ergeben. Er erwähnte oft eine kleine Insel, die etwa zweihundert Kilometer vor der Nordostküste von Sri Lanka liegen würde. Er war angeblich oft dort und habe einfach nur auf dem Sand gelegen und ein Buch gelesen«, erzählte Jacky und runzelte die Stirn, wendete ihren Blick jedoch nicht von mir ab. „Na dann hat sich das erledigt. Gehen wir wieder an Deck?“, fragte ich. Jacky schwieg. Ich setzte ein stutziges Grinsen auf, da ich verwundert war, wieso sie keinen Ton mehr von sich gab. Sie kratzte sich an ihrem Kopf, der bei nachdenklicher Miene auf den alten Holzboden der Eagleeye gerichtet war. Ich machte einen Schritt auf sie zu, bis wir nur noch eine halbe Fußlänge auseinander standen. Behutsam setzte ich meinen Zeigefinger unter ihr Kinn und drückte ihren Kopf nach oben, bis sie mir mit ihren grünen Augen direkt in meine sah. »Was ist los?«, flüsterte ich. Sie fuhr mit ihrer linken Hand meinen Arm herunter und hielt meine Hand fest in ihrer. Durch das Bullenauge, das Fenster neben uns, schien das Licht des Sonnenuntergangs genau auf uns. Für einen Moment lang hörte das Schiff auf, auf den Wellenrücken zu schaukeln. Die Zeit um uns herum stand still. Einzig und allein Jacky’s Atem, der mir direkt entgegen floss, zeigte mir, dass die Erde sich noch drehte. Meine Hand fuhr langsam durch ihr Haar, bis zu ihrem Hinterkopf. Ich beugte mich nach vorne und wie von allein neigte sich mein Kopf zur Seite. Ich war ein wenig nervös, doch ließ ich es mir nicht anmerken. Ich zuckte nicht mal mit der Wimper, bis ich meine Augen schloss und meine Lippen auf die ihren drückte. Es war ein unvergesslicher Moment. Mit ihrer Hand öffnete sie nun meine Finger und nahm mir den Schlüssel zur Schatztruhe ab. Ich konnte nicht beurteilen, wie lang unser Kuss dauerte, doch ein perfekter Moment musste in meinem Leben immer einem verheerenden Fehler weichen. »Tut mir leid. Ich muss den Schatz auf eigene Faust finden. Danke für alles«, sagte Jacky in einem Ton, der mich glauben ließ, es fiele ihr wirklich schwer mich derart zu betrügen. Doch verstehen konnte ich ihre Handlung nicht. In eleganten, kurzen Sprüngen hopste sie die Treppe herauf. »Jacky, bitte erklär’ mir, was los ist! Was tust du da?«, rief ich ihr hinterher. Sie blieb einen Moment lang stehen und kam zu mir zurück. »Cedric, du würdest das nie verstehen. Arthur war Teil von etwas Größerem. Größer als Alles, was die Menschheit sich je vorstellen könnte. Und das meine ich wörtlich«, sprach sie. Meine Augenbrauen senkten sich nach außen ab. Ein wehleidiger Ausdruck bildete sich auf meinem Gesicht. »Bitte erklär’ es mir doch. Wo willst du denn jetzt hin?«, fragte ich sie. »Das hier ist der Schlüssel zu Arthur’s Schatztruhe, aye. In ihr befindet sich jedoch nichts weiteres, als anderer Schlüssel, der eine alte Kammer öffnet. Ich weiß, wo sich Truhe und Kammer befinden«, erklärte sie. Ich hob meinen Arm in die Luft und legte meine Hand auf ihre Schulter. Auch das Schiff schien sich nun wieder bemerkbar mit den Wellen zu bewegen. Die Sonne war bereits untergegangen und Beide wussten wir, dass die Crew sehr bald ihren Schlaf brauchen würde. Wir konnten erst am nächsten morgen weiter segeln, so viel stand fest. »Dann nimm mich mit!«, bat ich Jacky. »Ich kann nicht. Du müsstest dich entscheiden«, versuchte sie mir zu erklären, doch keineswegs eröffnete sich mir daraus ein Grund, wieso sie den Schatz ohne mich öffnen sollte. »Zwischen was entscheiden? Ich habe entschieden, mit dir den Schatz zu suchen und diese Kammer zu öffnen!«, sprach ich weiter, in einem gelasseneren Ton, als ich es normalerweise getan hätte. »Die Crew oder ich. Jacob, William, Sailson und Senichi wollen diesen Schatz für sich selbst. Deswegen haben sie auf der Eagleeye angeheuert. In dieser Kammer findet man Antworten auf alles, aber auch Lösungen. Dort kann man Probleme wie von Zauberhand lösen. Nur Menschen mit guten Herzen wären würdig, die Kammer zu betreten ohne sie zu missbrauchen«, sagte Jacky. Ich verstand gar nichts. Aber mein Ziel war es, Antworten zu finden. Sollte ich diese in der Kammer erhalten, so war es mir viel wert. »Du kannst mir vertrauen, Jacky«, flüsterte ich ihr bei beruhigter Miene zu. »Ich weiß, dass du ein gutes Herz hast. Aber dein Herz ist zu gut. Du würdest dich nie gegen die Crew stellen, das wäre Meuterei«, sagte sie. Und sie hatte Recht. »Mal angenommen ich glaube dir, so wären Jacob und die Anderen doch diejenigen, die meutern würden, sobald sie erfahren, dass wir den Schlüssel....« Ich hielt kurz inne. Meine Augenbrauen zogen sich direkt über meinem Nasenbein zusammen, während ich aufgewühlt die Stirn runzelte. »...dass DU den Schlüssel hast. Also lass mich dir helfen«, fuhr ich fort. Jacky legte ihre Hand auf meine Schulter und sprach: »Wir werden ein Rettungsboot ins Wasser lassen. Bei Nacht betäuben wir alle Beteiligten und schaffen sie aufs Wasser. Die wissen, wie sie überleben werden. Shankar, Hikaru und wir Beide werden mit der Eagleeye davon segeln.« Vielleicht war die Entscheidung etwas übereilt getroffen worden, aber ich war entschlossen. Ich würde Jacky’s Plan befolgen. »Na gut. Ich weiß, wo Sailson das Betäubungsmittel aufbewahrt. Ich werde es uns besorgen«, sagte ich und setzte bereits die ersten Schritten von Jacky weg, bis sie mir hinterher rief und mir nachging. Auf ihr Rufen hin, drehte ich mich um. Und sofort stand sie hinter mir, legte ihre Arme um meinen Hals und zog mich zu sich ran, um mich zu küssen. Ich schloss meine Augen und schlang meine Arme um ihre Taille. Nach ein paar Sekunden setzte sie ihren Mund ab. Sie flüsterte: »Tut mir leid, dass ich diesen schönen Moment vorhin kaputt gemacht habe. Und dass ich mich beinahe gegen dich gewendet hätte. Vergibst du mir?« Nach einem Moment des Überlegens entgegnete ich: »Natürlich tu ich das, Jacky.« Sie sah mir tief in die Augen und fuhr fort: »Du bekommst somit übrigens zwei Schlüssel von mir. Den zu Arthur’s Truhe, bewahre ihn gut auf. Und außerdem...« Sie hielt kurz inne und streichelte mir den Nacken. »Außerdem hast du auch den Schlüssel zu meinem Herzen erhalten.«

 

Leseprobe aus Kapitel XI

 

Wer nur ein einziges Mal den Sonnenuntergang auf See erlebt hat, der versteht, warum das Meer so viele Menschen in seinen Bann zieht. Meeresbiologen, Taucher, Handelsleute, Marinesoldaten. Leute, die von A nach B müssen. So viele sind von den Ozeanen begeistert, obgleich sie völlig unterschiedliche Berufe ausführen. Der Eine ist damit zufrieden, der Andere vielleicht eher nicht. Aber wenn die Sonne am Horizont, über diesen unendlichen Wassermassen zur Ruhe ging und ein rötliches Licht den Abendhimmel verzierte, dann erhielten diese Menschen ihre Bestätigung, dass sie den richtigen Beruf gewählt hatten. Und mit dem ersten Fuß, den ich an diesem Abend auf das Deck der Eagleeye setzte, betrat ich eine Welt, die unter einem solchen Himmelszelt lag. Der Moment schien eingefroren. Die verschleierte Spiegelung des sanften, beruhigenden Lichts im Wasser war ein geradezu inspirierender Anblick. Als würden alle Probleme und Komplikationen meilenweit unter die Meeresoberfläche sinken und von den Korallen auf Ewigkeit festgehalten werden. Ich genoss den frischen Wind, der an Deck wehte. Er streichelte sanft durch mein Haar und trieb mir einen angenehmen Salzwassergeruch in die Nase. Noch vor wenigen Stunden herrschte hier ein dunkler, trüber Sturm. Es wurde viel Regen vergossen. Doch jetzt legte sich die Sonne unter einem wunderschönen, farbenfrohen Regenbogen schlafen. Sie gab ihren Dienst nun an den Mond weiter.

 

 

 

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